Das Institut zur Geschichte von Naturwissenschaften und Technik (IGNT)

Ein Institut der Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V. (ASG)
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W. Eisenberg  

90 Jahre Sommerfeld'sche Feinstrukturkonstante

Vortrag zum Sommerfeld-Seminar am 20. Juni 2006 in Leipzig

Bei der Erweiterung des Bohr'schen Atommodells auf die Ellipsenbahnen der Elektronen und der Bestimmung ihrer relativistischen Korrekturen entdeckte Arnold Sommerfeld 1915/16 eine universelle Naturkonstante. Diese Sommerfeld'sche Feinstrukturkonstante α war dimensionslos und verknüpfte in einfachster Weise drei universelle Naturkonstanten, e (Elementarladung), h (Wirkungsquantum) und c (Lichtgeschwindigkeit):

Nicht nur dieser Zahlenwert gab zu vielen Spekulationen, ernsthaften Überlegungen und Begründungsversuchen Anlass. Der bekannteste war der von Weyl.

Es ist sicher weniger bekannt, dass der Entdecker der nichtrelativistischen Quantentheorie, Werner Heisenberg, das 50-jährige Jubiläum der Sommerfeld'schen Feinstrukturkonstante am 6. Juni 1966 mit einem Vortrag im Plenarsaal des Bayerischen Landtages würdigte. Interessant ist dabei, dass der Meisterschüler die planetaren relativistischen Bahnvorstellungen atomarer Teilchenbewegungen aus der Feinstrukturtheorie seines Lehrers negierte; er betonte schon in seiner Leipziger Wirkungsstätte aus nahe liegenden Gründen die Vorteile der Dirac'schen relativistischen Quantentheorie – in Kenntnis der anderen ungelösten Probleme, wie z. B. die Berechnung der Feinstrukturkonstanten. Daher entschied das Nobel-Komitee pragmatisch und weitsichtig zugleich, als es in den 30er Jahren Nobelpreise für die verschiedenen Formulierungen der modernen Quantentheorie an das europäische Physiker-Trio, an Paul Dirac, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger, verlieh. Erst nach 50 Jahren konnte der Schüler auf die an ihn gestellte Frage seines Meisters nach der rätselhaften Zahlenbeziehung endlich antworten: Der Schlüssel zum Verständnis der Feinstrukturkonstanten ist gefunden worden; einstweilen enthält deren Berechnung noch einen Fehler von der Größenordnung 20%.

Die in der aktuellen Literatur ablaufende Diskussion zur physikalischen und chemischen Relevanz der Sommerfeld'schen Feinstrukturkonstanten ist verknüpft mit der Stringtheorie, der Kosmologie, der Theorie chemischer Bindungen, der Theorie des Quanten-Hall-Effektes und im Kontext von Albert Einsteins Annus mirabilis (1905 – 2005) existierender und möglicher Verallgemeinerungen. Es ist daher für die Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft nahe liegend, an die vor 90 Jahren entdeckte dimensionslose (maßstabsunabhängige) Naturkonstante im Leipziger Sommerfeld-Seminar am 20. Juni 2006 resümierend zu erinnern; vielleicht können die aufgeworfenen Fragen aber erst zum 100. Jubiläum der Feinstrukturkonstante 2016 - wieder in München - verlässlich beantwortet werden.

Die Anwendung der Sommerfeld'schen Feinsturkturtheorie in der chemischen Bindung:

Man kann die Sommerfeld'sche Feinstrukturtheorie durchaus in die moderne Version der Energetik einordnen. Diesem Gedanken scheint auch die zeitliche Reihenfolge der Lehrbücher über theoretische Physik von Arnold Sommerfeld zu entsprechen. Denn anders als der von ihm hochgeschätzte Albert Einstein, dessen Denken frühzeitig von der Boltzmann-Entropie beeinflusst wurde, beschäftigte sich Sommerfeld abschließend mit der Entropie, seiner Herrin der Energie: sie ist eng mit dem Zeitpfeil und damit mit der Richtung des Prozessablaufes verbunden. Ob der Nachfolger Boltzmanns auch an dessen kinetische Gleichung und Entropie dachte, ist ungewiss. Sein genialer Schüler Wolfgang Pauli – das Gewissen der Physik - jedenfalls untersuchte das Anwachsen der Entropie vom Standpunkt der neueren Quantenmechanik.


© 2006  Dr. Uwe Renner