Das Institut zur Geschichte von Naturwissenschaften und Technik (IGNT)

Ein Institut der Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V. (ASG)
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Bemerkungen zur Energetik  

 

Die Energetik, die Lehre von der Energie, wie sie Rankine 1854 nannte, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert immer wichtiger für die Physiker, die Chemiker und insbesondere für die von Wilhelm Ostwald in Leipzig intensiv geförderte interdisziplinäre physikalische Chemie.

Denn die Physikentwicklung zeigte zunehmend nichtmechanische phänomenologische Verzweigungen: Entwicklung der Wärmetheorie, der Optik und der Maxwell'schen Elektrodynamik. Die naheliegenden Versuche der mechanischen Reduktionen – erfolgreiche Beispiele sind z.B. die statistische Mechanik und die kinetische Gastheorie - scheiterten immer offensichtlicher an der Elektrodynamik.

Daher war der Energieerhaltungssatz, der Kern der Energetik, in der Physikentwicklung sehr willkommen. Er wurde immer erfolgreicher benutzt zur vereinheitlichenden Beschreibung der verschiedenen Naturphänomene. Das entdeckte mechanische Wärmeäquivalent ermöglichte mit Hilfe des verallgemeinerten Energieerhaltungssatzes zudem die überzeugende quantitative Beschreibung der Energieumwandlungen in den betrachteten physikalischen Systemen. Der Physikochemiker Wilhelm Ostwald nutzte diese weiterentwickelte Energetik zum Ausbau der physikalischen Chemie in Leipzig, seiner universitären Wirkungsstätte.

Dieses historische Musterbeispiel der Interdisziplinarität in der Wissenschaftsentwicklung zu analysieren und im heutigen faktischen Verständnis zu rekonstruieren, ist eine lohnenswerte Aufgabe für die satzungsgemäß interdisziplinär orientierte Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V. Zu beginnen ist dabei mit dem Quellenstudium, so wie es hier vorgestellt wird. Dieses ist in einer aktuell und fächerübergreifend erweiterten Version weiter auszugestalten und sollte dabei folgende Schwerpunkte umfassen:

  1. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nutzte man die einfachen Vorteile der messtechnisch gestützten phänomenologischen Energetik (Ernst Mach, Wilhelm Ostwald, Max Planck). Begünstigt wurde diese Entwicklung durch mathematisch-methodische Vorteile der Energetik (Differentialgleichung 1. Ordnung) und die Entwicklung der Thermodynamik (1. Hauptsatz: Energiesatz).
  2. Sogar der Kinetiker und kämpferische Atomist Ludwig Boltzmann erhoffte sich damals methodische Vorteile in der Energetik bei der versuchten mechanischen Reduktion der Elektrodynamik. Nachdem sich seine diesbezüglichen Hoffnungen in seiner Münchener Zeit nicht erfüllten, wurde er zum prominentesten Kritiker der Energetik. Ein Höhepunkt war die Energetik-Kontroverse nach dem Lübecker Vortrag des Chemikers und aktivsten Energetikers W. Ostwald im Jahre 1895.
  3. Ludwig Boltzmann blieb in seiner Energetik-Kritik nicht nur konservativ - er erinnerte wiederholt an die Erfolge und das Potential der Methodik einer allgemeinen Mechanikund die Ergebnisse in seinem Forschungsgebiet - oder sogar destruktiv oder nur polemisch, sondern er forderte zugleich den konstruktiv-kritischen Ausbau der Energetik.
  4. Dieser konstruktiven Energetik-Kritik schlossen sich die Vertreter der Entropik, der Lehre von der Entropie, an, die insbesondere im Begriff der Entropie und im Entropiesatz (gültig für abgeschlossene Systeme) eine entscheidende Weiterentwicklung der phänomenologischen Thermodynamik erkannten, wie z.B. Max Planck.
  5. M. Planck gelang nach einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der Energetik und der Weiterentwicklung seiner Entropik-Version der Durchbruch zur nichtklassischen Physik, als er 1900 seine halbempirische Spektralkurve für die universale schwarze Strahlung gefunden hatte. Im abgewandelten Boltzmann-Konzept zur physikalisch Interpretion seiner nichtklassischen Ergebnisse entdeckte er in der zweiten Konstante der o.g. Spektralkurve das universale Energiequantum (Planck`sches Wirkungsquantum).
  6. Dieser anspruchsvollen Aufgabe einer konstruktiv-kritischen Aufarbeitung der weltweit beachteten und bekannten Energetik-Kontroverse widmeten sich weiterhin insbesondere die Physiker Albert Einstein und Carl Friedrich von Weizsäcker. Albert Einstein entwickelte erfolgreich die kinetische Theorie der Flüssigkeiten weiter, bestimmte damit quantitativ die atomaren Eigenschaften der Flüssigkeiten und entdeckte die folgenreiche Masse-Energie-Äquivalenz und die körnige Struktur der Energie (Zürich, 1905).
  7. Carl Friedrich von Weizsäcker konnte an die Ideen Einsteins anknüpfen (halbempirische Massen-Formel für die Kernbausteine, Leipzig 1934). An der Entwicklung einer technischen Umsetzung der Kernenergetik waren C. F. v. Weizsäcker und insbesondere sein Freund und Förderer Werner Heisenberg beteiligt (siehe weltweit erster Nachweis der Möglichkeit einer Kettenreaktion mit der Leipziger Uranmaschine, Leipzig 1942).
  8. Von Weizsäckers kernenergetische Überlegungen führten ihn zur Entdeckung der Kernfusion als Energiequelle der Sterne (1938/39); seine turbulenzenergetischen Untersuchungen (Farm Hall, 1945) konnten die Kantsche Hypothese über die Entstehung des Planetensystems bestätigen.
  9. C. F. v. Weizsäckers konstruktiv-kritische Aufarbeitung der Energetik-Geschichte hat einen vorläufigen "Abschluss": die Hypothese der Masse-Energie-Information-Äquivalenz. Sie wurde im Rahmen seiner Ur-Theorie formuliert. Letztere gilt heute als ein Vorläufer der Quanteninformationstheorie. Er hat damit einen spekulativen analogen Gedankengang zur Einbeziehung der Information in die physikalische Energetik und Kosmologie im weitgehend operationalen Sinne Albert Einsteins hinzugefügt.    (W. Eisenberg)
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